Sehr geehrte Frau Müller-Gerbes,
dass der Beschwerdeausschuss 1 des Presserats, dessen Vorsitzende Sie sind, meine Beschwerde über die Westdeutsche Zeitung (WZ) für unbegründet hält, habe ich mit Befremden zur Kenntnis genommen.
Der Sachverhalt ist doch im Prinzip ziemlich einfach. Laut Herrn Dr. Kamp, Direktor der Stadtbücherei Düsseldorf, ist „Religion in keiner Facette ein besonderer Renner – gerade mal 0,4 Prozent der Ausleihen lassen sich dem Themenspektrum zuordnen“ (Quelle: WZ). Die Lektorin für den Bereich „Religion“ schafft trotzdem in eineinhalb Jahren über 130 christliche Bücher sowie weitere Bücher zum Islam u.s.w. an. Hätten die übrigen Abteilungen proportional dazu Bücher gekauft, hätten sie über 32.370 Werke ordern müssen. Von einer Zurückhaltung wegen beschränkter Mittel oder wenig Leserinteresse kann im Bereich „Religion“ also nicht die Rede sein.
Da erdreistet sich ein Kunde, die Anschaffung von elf kirchenkritischen Büchern vorzuschlagen. Das gefällt der zuständigen Bibliothekarin offensichtlich nicht und mit Unterstützung des Leiters der Beschaffungsabteilung, Herrn Klaus Peter Hommes, weigert sie sich kategorisch, auch nur eins dieser Bücher zu kaufen. Sie seien zu speziell. Herr Hommes trägt außerdem allerlei Tatsachen vor, die stimmen (z.B. geringe Nachfrage im Bereich „Religion“, es würde auf Aktualität geachtet, man führe auch strikt kirchenkritische Autoren, es gäbe die Möglichkeit der Fernleihe), von denen aber keine erklärt, wieso alle elf kirchenkritischen Bücher als zu speziell, die über 130 angeschafften Bücher aber nicht als zu speziell eingestuft wurden.
Der Kunde hält das für Zensur aus weltanschaulichen Gründen und beschwert sich schriftlich und mündlich im Rathaus. Die Stadtbücherei, die CDU- und FDP-Mitglieder des Beschwerdeausschusses der Stadt und die WZ halten diese Beschwerde für unbegründet. Obwohl es sich um eine grundgesetzwidrige Einschränkung der Meinungsfreiheit (der Autoren) und der Informationsfreiheit (der Kunden) handelt, schafft es der WZ-Reporter Alexander Schulte auf durchaus geschickte Weise, in seinem Bericht über diese Beschwerde den Anschein zu erwecken, die Stadtbücherei habe sich korrekt verhalten, und das Problem sei in der Person des lästigen Beschwerdeführers zu sehen. Ein journalistisches Meisterstück, mit dem sich Herr Schulte für höhere Weihen (Anstellung beim Vatikan, bei der Deutsche Bischofskonferenz oder zumindest bei der Rheinische Post) empfiehlt.
Mir ist rätselhaft, wie ein Gremium erfahrener Journalisten und Journalistinnen zu dem Schluss kommen konnte, der Bericht von Herrn Schulte bewege sich im Rahmen der journalistischen Gestaltungsfreiheit. Es kommt mir so vor, als sei meine Beschwerde (wieder) von jemand bearbeit worden, der sich zum Christentum bekennt und welt- bzw. diesseitsanschaulich motiviert ist, dies gegen Kritik zu verteidigen. So jemand wie Herr Manfred Protze, der Mitglied Ihres Ausschusses ist und am bischöflich-katholischen Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses e.V. (ifp) als Referent tätig ist. (Eine wichtige Tätigkeit, denn ohne die omnipräsente christliche Propaganda in den Medien wäre den beiden großen Kirchen längst die Luft ausgegangen.)
In Ihrem Beschluss heißt es zunächst:
„Das Beschwerdeverfahren wurde beschränkt auf die Vorwürfe, es habe keine ausgewogene Darstellung der Argumente stattgefunden …“.
Dazu stelle ich fest:
Das stimmt nicht. Ich habe nicht beklagt, dass keine ausgewogene Darstellung der Argumente stattgefunden hat, sondern moniert, dass kein einziges meiner Argumente referiert wurde. Das ist ein großer Unterschied, denn im ersten Fall hätte die WZ berechtigterweise von ihrer Gestaltungsfreiheit Gebrauch gemacht, im zweiten Fall trägt die Unterschlagung meiner Argumente wesentlich dazu bei, den falschen Eindruck zu erwecken, meine Beschwerde bei der Stadt sei unbegründet gewesen, und ich sei ein Spinner oder ähnliches.
Sie behaupten weiter, der Chefredakteur der WZ (Herr Michael Vogler) habe Stellung genommen.
Dazu stelle ich fest:
Alles, was Herr Vogler laut Ihrem Beschluss getan hat, ist argumentationsfrei zu behaupten, er halte die Beschwerde für unbegründet, und ein Gegendarstellungsverlangen sei zurückgewiesen worden.
Um eine Gegendarstellung gerichtlich zu erzwingen, hätte ich ein Prozesskostenrisiko von mindestens 10.000 Euro (1. Instanz: Landgericht) eingehen müssen. Und auch bei Unterstellung, dass sich die Gerichte nicht von weltanschaulichen Präferenzen leiten lassen, wäre das Risiko „abzublitzen“ erheblich gewesen, denn der richterliche Ermessensspielraum ist groß, und es reicht eine als nicht zumutbar eingestufte Kleinigkeit, um solch einen Antrag zurückzuweisen.
Offensichtlich ist Ihr Ausschuss der folgenden absurden Behauptung Schultes gefolgt:
„Die für die Öffentlichkeit relevanteste Frage sei aus Sicht des Journalisten, welche grundsätzlichen Kriterien eine öffentliche Bibliothek bei Neuanschaffungen zugrunde lege.“
Es ist nicht zu fassen. Wenn sich in einer Demokratie ein Bürger über eine öffentliche Einrichtung in einer öffentlichen Sitzung des Rathauses beschwert, ist „die für die Öffentlichkeit relevanteste Frage“ selbstverständlich, ob sich diese Person zurecht oder zuunrecht beschwert hat. Dazu müssen die Leser wenigstens in Grundzügen erfahren, welche Argumente der Beschwerdeführer vorgebracht hat.
Selbstverständlich ist einer Redaktion ein großer Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Wer aber bei einem vor einem kommunalpolitischen Gremium ausgetragenen Streit ausschließlich Argumente der beklagten städtischen Institution referiert, befindet sich aus meiner Sicht außerhalb dieses Spielraums und betreibt unkritische Hofberichterstattung. Herr Schulte hat außerdem beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen, dass der Leser vom Beschwerdeführer einen negativen Eindruck bekommt. Das wäre vertretbar, wenn die Beschwerde unbegründet gewesen wäre, aber sie war – siehe oben – durchaus gut begründet.
Sind die Kirchen Verbrecherorganisationen?
Sie behaupten, die Bewertung meiner Aussage durch die WZ sei eine zulässige Zusammenfassung. Dies halte ich für eine zu lässige Behandlung der Problematik Ihrerseits.
Die Frage, ob es „milder“ ist, die Kirchen als Verbrecherorganisationen zu bezeichnen (was ich nie geschrieben oder gesagt habe) oder zu sagen, keine Verbrecherorganisation habe so viel Schaden angerichtet wie die Kirchen (der von mir vertretene Standpunkt), ist insofern müßig, als die erste Aussage nicht haltbar und die zweite Aussage leider richtig ist. Insofern ist die Empörung auf Seiten der Herren Dr. Christian Rütz und Alexander Schulte lächerlich und wohl nur Ausdruck christlichen Übereifers.
Es dürfte doch klar sein, dass die Kirchen nicht als Verbrecherorganisationen gegründet wurden, und dass vom Urchristentum an bis heute der Schwerpunkt auf der Verkündigung des Evangeliums liegt. Und es ist auf der anderen Seite nicht zu bestreiten, dass selbst die großen Schäden, die z.B. eine Verbrecherorganisation wie die Mafia verursacht hat, weder quantitativ noch qualitativ mit den Schandtaten der Kirchen, zu denen die jahrhundertelange Verfolgung und Ermordung von Juden, Zwangschristianisierung, Kreuzzüge, der Dreißigjährige Krieg, Folter von „Ketzern“, Kerkerhaft unter übelsten, teilweise tödlichen Bedingungen, Verbrennen bei lebendigem Leib in tausenden von Fällen, Unterstützung der Nazi-Diktatur, die Ausbeutung und Misshandlung von Heimkindern und die systematische Vertuschung von sexuellen Übergriffen gehört, konkurieren kann.
Es scheint, dass auch hinsichtlich dieses kleinen Bibliothekskandals einigen Menschen wieder einmal derjenige, der auf den Schmutz hinweist als viel gefährlicher gilt als der, der den Schmutz macht.
Die journalistische Sorgfaltspflicht hätte es erfordert, dass die WZ eine mir unterstellte unsinnige Aussage, die mich in einem schlechten Licht erscheinen lässt, erst mal auf ihre Echtheit überprüft hätte. Herrn Schulte lag ja der Text meiner schriftlichen Beschwerde vor.
Mit freundlichem Gruß,
Dr. Wolfgang Klosterhalfen