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Kritik am Ethiklehrbuch „Abenteuer Mensch sein“, Klasse 9

Unter dem Aspekt der Religionskritik habe ich das Ethiklehrbuch „Abenteuer Mensch sein“ für die 9. Klasse durchgearbeitet. Zusammenfassend ist zu sagen, dass man in diesem Lehrbuch außerordentlich bestrebt ist, alle etablierten Religionen unkritisch darzustellen. Kritik bekommen allenfalls kleinere Sekten.

Ein Grund für diese Vorgehensweise könnte sein, dass man bestrebt ist, das größtmögliche Verständnis unter Jugendlichen verschiedener weltanschaulicher Herkunft zu schaffen. Um den Preis der Verzerrung der Realität sollte dies jedoch nicht geschehen. Junge Menschen haben einen Anspruch, in der Schule ein möglichst genaues Abbild der Realität zu bekommen. Sie haben ein Recht darauf, sich ihre Meinung aufgrund von Fakten – und nicht aufgrund von Mythen – zu bilden. Eine einseitig positive Beleuchtung einer Religion nur deshalb, weil ihre Vertreter in Deutschland eine nicht zu unterschätzende Macht besitzen, ist für den Unterricht unzulässig. Zudem bin ich der Auffassung, dass man unter den Jugendlichen verschiedener Herkunft durchaus auch dann einen respektierenden Umgang erreichen kann, wenn man die Religionen ihrer Familien auch kritisch betrachtet. Schließlich befinden sich alle Jugendlichen noch im Entscheidungsprozess, welche Anschauungen sie in ihrem späteren Leben vertreten werden. Je besser die Hintergrundinformationen, desto besser können sie sich entscheiden. Die jungen Menschen lernen so, nicht alles als gegeben hinzunehmen, sondern gründlicher darüber nachzudenken, ob sie z.B. trotz der Verachtung bestimmter Menschengruppen „ihrer“ Religion treu bleiben wollen, ob sie sich eher eine eigene Variante dieser Religion stricken wollen, die inhumane Aspekte ausklammert oder ob sie unter diesen bestimmten Umständen in der von den Eltern vorgelebten Religion nicht mehr zu Hause sind.

Ein Ethikunterricht, der sich damit befasst, wie wir ethisch miteinander umgehen können, wäre selbst unethisch, wenn er sich nicht an Fakten, sondern an den Interessen der mächtigsten Gruppen – und das wäre das zweite Motiv für die Positivdarstellung insbesondere des Christentums in diesem Buch – in unserem Land orientiert.

Daher bitte ich den Cornelsen Verlag, dieses Buch gründlich zu überarbeiten. Die Verantwortlichen für die Lehrpläne bitte ich außerdem darum, darauf zu achten, dass ein wirklich neutraler, faktenbasierter und kritischer Ethikunterricht stattfindet.

Kapitel 1: Das menschliche Leben – ein Weg

Auf Seite 18 werden Lebensstadien im Hinduismus genannt.

  • Haben die Schüler vorher schon etwas über den Hinduismus gelernt? Wissen sie, was Kasten sind und dass die Menschen, die in eine Kaste hinein geboren werden, keine Möglichkeit haben, in eine andere Kaste zu wechseln? Warum schreibt man hier nur über die Lebensstadien des Mannes und nicht der Frau? Was ist bei der Frau anders?
  • Zitat: „… um nach einer unendlichen Reihe von Wiedergeburten die ewige Ruhe zu finden.“ – Wie geht das? Möchte man den Schülern hier den Weg zu logischem Denken verbauen?

 Kapitel 2: Zeit im Leben

  • Die Benutzung der Zeitangabe v. Chr. bzw. n. Chr. ist zu kritisieren, weil sie eine Anerkennung des christlichen Glaubens voraussetzt. Da aber nicht alle Schüler an „Christi Geburt“ glauben und weil es überall Schüler geben kann, deren Familien vom Christentum verletzt wurden (man denke nur mal an Schüler aus jüdischen Familien, an Schüler aus atheistischen Familien, an Schüler mit homosexuellen Eltern, … (!)), ist es eine Anmaßung, von Schülern diese Zeitangabe zu verlangen. Das ist übrigens ein generelles Problem in allen Schulbüchern!                                                                                                                       
  • Konkret steht hier auf Seite 39: „… die christliche Kultur zählt seit Christi Geburt …“. Das jedoch ist falsch! Diese Aussage setzt voraus, dass es diesen besagten Mann gegeben hat. Was nicht bewiesen werden kann. Falls es diesen Mann gegeben haben sollte, ist er nicht im fiktiven Jahr „0“ geboren, sondern einige Jahre davor. Das Jahr 7 v.u.Z. habe ich in einigen Quellen gefunden. Es gibt dazu auch andere Spekulationen, das Jahr 0 oder 1 jedoch nicht. – Der Ethikunterricht ist keine Märchenstunde. Wenn über solche Zeitangaben gesprochen wird, sollte man auch darüber sprechen, wie sie zu Stande gekommen sind und dass sie auf einem Glauben, nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basieren.

Kapitel 4: Nachdenken über den Tod

  • Unter der Überschrift: „Ein Volk wird danach beurteilt, wie es seine Toten bestattet“ werden durch Zitate verschiedener Autoren die heute weit verbreiteten Bestattungsgewohnheiten in unserer Gesellschaft kritisiert, ohne ein Zitat, das heutige Bestattungspraktiken rechtfertigt oder sogar noch darüber hinaus geht und mancherlei überlieferte Praktiken in Frage stellt.                                                                                            
  • Im ersten Zitat auf Seite 64 geht es um Menschen, die wegen fehlender Angehöriger von Amts wegen bestattet werden und es wird gefragt: „Und wer trauert?“ -> Sind diese Menschen wirklich wegen der fehlenden Trauer zu bemitleiden und nicht eher wegen fehlender menschlicher Zuwendung zu Lebzeiten? Kann man denn Mitleid mit einem Toten überhaupt noch haben? Der Tote hat kein Bewusstsein mehr und ist nicht mehr leidensfähig. Woher kommt das offenbar doch vorhandene Mitleid? Meiner Ansicht nach müsste das den Glauben an eine Weiterexistenz des Bewusstseins voraussetzen.                                                               
  • Unter einem Bild auf Seite 64 steht: „Wenn nicht Geistliche – wie hier … – die Grablegung begleiten, verschwinden sie einfach so in der Erde. Kein Grabstein erinnert an die Toten.“ -> Sollten wir dem Geistlichen also dankbar sein? Kann man die Tätigkeit des Geistlichen nicht auch als Eigensinn bzw. Missionierungsaufgabe verstehen? Man gaukelt vor, der Tote hätte einen Nutzen davon, dass der Geistliche seine Beerdigung begleitet und heimst für den Geistlichen bzw. für seine Kirche soziale Punkte ein.  Ist es nicht auch eine Missachtung des Verstorbenen, wenn seine Beerdigung durch einen Geistlichen begleitet wird, obwohl dieser Verstorbene kein Interesse an der Religionsgemeinschaft dieses Geistlichen hatte, ja, wenn er sogar ein Opfer dieser Religionsgemeinschaft war? Wozu braucht man eigentlich einen Grabstein? – Interessant könnte eine Diskussion mit den Schülern darüber werden, ob sie selbst im Fall, dass sie zum Zeitpunkt ihres Todes keine Angehörigen mehr haben, Wert auf die Begleitung durch einen Geistlichen legen oder wie sie wollten, wie dann mit ihrem leblosen Körper umgegangen wird. Würden sie für eine teure Beerdigungszeremonie mit Grabstein usw. zu Lebzeiten einen doch recht hohen Betrag zurück legen oder würden sie ihr Geld lieber vorher noch ausgeben und dafür auf das ganze Brimborium verzichten?                                                                    
  • In einem weiteren Zitat auf dieser Seite wird die Beauftragung von Bestattungsinstituten kritisiert. Früher und in dörflichen Strukturen hätten die Hinterbliebenen das alles selbst gemacht und wurden von ihren Nachbarn unterstützt. Kann man den Wandel zu der heutigen Regelung nicht auch als Fortschritt bezeichnen, weil die Bestattungsinstitute den Angehörigen in ihrer ohnehin schwierigen Situation auch eine Last abnehmen? Warum werden hier wieder nur die Toten bemitleidet und nicht die Angehörigen, denen tatsächliches Leid widerfahren ist? Was hätten die Toten davon, von ihren Angehörigen noch gewaschen, angezogen, … zu werden? Wer will überhaupt noch als Leiche gewaschen und angezogen werden, so dass sich andere möglicherweise vor einem ekeln? – Ist es nicht besser, sich um seine Angehörigen zu Lebzeiten zu bemühen?           
  • Auf Seite 65 geht es weiter. Ja, warum sollte man seine toten Angehörigen einölen und Fotos machen? Hat das wirklich noch was mit besonderer Liebe zu dem Angehörigen zu tun? Wer das unbedingt braucht, dem ist es ja nicht verboten. Letztlich sollten die leidenden Angehörigen respektiert werden, wenn sie das nicht tun und den Betreffenden in lebendiger Erinnerung behalten wollen. Man assoziiert aber auch hier, die erkalteten Angehörigen würden sich dem Toten gegenüber unfair verhalten. – Ist der Leichen- schmaus auf Beerdigungen nicht auch irgendwie respektlos dem Toten gegenüber?
  • Wie sollte man ein Volk nach der Bestattung ihrer Toten beurteilen als „gut“ oder “schlecht“? Woran ist das messbar? Am eigenen Standpunkt, der eigenen Religion, der eigenen Moral?
  • Die heute übliche Beerdigungspraxis ist größtenteils ein christliches Ritual. Das sollte den Schülern bewusst werden. Religionsfreie finden heute eigene Formen, die auch dem religionsfreien Verstorbenen und seiner Familie besser gerecht werden: Friedwälder, Asche im Garten verstreuen, die Urne mit nach Hause nehmen – Warum sind die letzten beiden Varianten in Deutschland verboten?                                                                                       
  • Die „Vorstellungen vom Leben nach dem Tod“ werden auf Seite 70 nicht so sehr als religiös verdeutlicht, sondern zuerst am Beispiel eines Philosophen v.u.Z. (Sokrates) gezeigt. Heutige religionsfreie Philosophen teilen diese Ansicht meist nicht.
  • Auf Seite 71 wird durch die Geschichte von Zwillingsbrüdern vor der Geburt (erdachtes Zwiegespräch) die Position, dass es kein Leben nach dem Tod gibt, stark in Frage gestellt: „„Aber vielleicht gibt es ein Leben nach der Geburt!“ „Wie könnte das sein?“, fragte zweifelnd der erste, …“ – Damit wird impliziert, es müsse ein Leben nach dem Tod geben, weil es ja auch ein Leben nach der Geburt gibt.                                                                                            
  • Wir sollten uns eher fragen, woher solche Vorstellungen – Leben nach dem Tod – kommen und welche Gefahr diese mit sich bringen können. [1]

Auf Seite 72/73 wird die Sterbehilfe thematisiert. Im Gegensatz zu anderen Ethikmaterialien ist dieser Abschnitt gut. Es wurde ein passendes Beispiel gewählt, die Schüler sollen sich in die Lage des Betroffenen versetzen. Das in Deutschland bestehende Verbot wird leider einseitig auf den Nationalsozialismus zurück geführt und nicht auch auf den Einfluss der Kirchen in Deutschland. Positiv hätte man hier über eine von der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) ausgezeichnete Geschichte schreiben können: „Bea geht.“ [2]  In dieser Geschichte nimmt eine an Krebs in fortgeschrittenem Stadium leidende Frau ganz selbstverständlich aktive Sterbehilfe in Anspruch. Eine schöne Zukunftsvision!

Kapitel 6: „Religion – was ist das?“

  • Auf Seite 106 steht: „Da diese Religionen prinzipiell jedem Menschen offen stehen, haben sie sich in allen Teilen der Welt verbreitet und werden deshalb „Weltreligionen“ genannt.“ – Diese Erklärung ist sehr unzureichend. Etwas mehr sollte man schon über die Verbreitung von Religionen wissen, insbesondere über die Religion, mit der wir es in unseren Breiten am Meisten zu tun haben. „Jedem Menschen offen stehen“ – so einfach ist das nicht! Wer etwas über die Verbreitung des Christentums wissen will, sollte sich unbedingt mit dem Begriff Christianisierung auseinander setzen und damit, wie Menschen über fast 2 Jahrtausende unter Androhung von größten Übeln bis hin zum Tod zum Übertritt zum Christentum genötigt wurden. Auch darüber, wie ganze Völkerstämme, etwa die Ureinwohner Amerikas, zum Zwecke der Christianisierung ausgerottet wurden. – Mal umgekehrt: Haben wir deshalb so wenige Juden, weil das Judentum nicht allen Menschen offen steht? [Entsetzen!] Das obige Zitat ist unzulässig banalisierend!                                                                                             
  • Auch das Thema Sekten wird unzureichend angeschnitten. Sekten werden hier als „neue religiöse Strömungen“ bezeichnet und nicht als Abspaltung von einer Religion, z.B. anhand der Abspaltung des Christentums vom Judentum. Es hätte auch vermittelt werden können, dass die Vertreter der heute herrschenden Religionen, in Deutschland die Kirchen, gern kleinere Religionsgemeinschaften abwertend als Sekten bezeichnen, um sich selbst damit aufzuwerten. Dass sie selbst eine Sekte sind, wird allzu gern verschwiegen. Der Grund dafür, warum die Definition der Sekte als Abspaltung von einer Religion nicht gern genannt wird und vermutlich auch dafür, warum das nicht so im Lehrbuch steht.                                                         
  • Auf Seite 108 und 109 versucht man unter der Überschrift „Erlebniswelten – Religionsersatz?“ Jugendliche dazu zu bringen, sich selbst doch irgendwie als religiös zu empfinden. „Kennt ihr für euch selbst „heilige“ Dinge?“; „Zählt aus eigenen Erfahrungen Formen so genannter Ersatzreligiosität auf.“ – Heilig – das heißt ja nichts anderes als „unantastbar“. Wenn ich also sage, mein Recht auf Selbstbestimmung ist mit heilig, meine ich damit, ich dulde es nicht, wenn mir jemand mein Recht auf Selbstbestimmung nimmt. Das hat nichts mit einer Form der Religiosität zu tun. Ersatzreligiosität – damit meint man Handlungen/ Glauben, die jeder Grundlage entbehren, aber dennoch vorgenommen/ geglaubt werden. Zum Beispiel am Freitag dem 13. nicht aus dem Haus gehen, weil das Unglück bringen soll. Oder man rennt trotz völliger Erschöpfung den Marathon bis zum Schluss, weil man hofft, man könne damit eine schlechte Zensur in der Mathearbeit verhindern. Beim ersten Beispiel handelt es sich genau wie bei Religionen um einen Glauben, also nicht um einen Ersatzglauben. Das zweite Beispiel ist nur eine Strategie des menschlichen Hirns, um sich selbst durch Belohnung zu besseren Leistungen zu motivieren. Als Ersatzreligionen werden gern auch Fußball oder Medienkonsum bezeichnet. Mit übernatürlichen Vorstellungen haben aber beide recht wenig zu tun. Sie verschaffen allenfalls – ähnlich wie bei Religionen – ein gewisses Rauschgefühl und ein teilweises Ausblenden des Verstandes.                                                                                              
  • „Allen Religionen gemeinsam ist ihr Bezug auf Transzendenz – sie stellen Erfahrungen jenseits normaler menschlicher Verstehensmöglichkeiten in Aussicht. Dieses letztlich nicht Fassbare bietet Orientierung in elementaren Fragen des Menschseins …“ – Ist das eine Definition des Begriffs Religion? Wenn man etwas nicht Fassbares, nicht Beweisbares als Orientierung benutzt – ist das nicht riskant?                                                                            
  • „die religiöse Vielfalt … sie schließt … aber auch fundamentalistische Einstellungen ein.“ – Was sind nach Meinung der Autoren fundamentalistische Einstellungen? Was sind nach deren Meinung nicht fundamentalistische Einstellungen? – Wenn man das Wort Fundamentalismus verwendet, sollte man es auch erklären. Fundamentalismus im Zusammenhang mit Religion ist nichts anderes als sich auf die Wurzeln dieser Religion zurück zu besinnen oder deren Glaubensschrift wörtlich zu nehmen. Das heißt, die Religion als solche ist bereits in ihrem Wesen fundamentalistisch und enthält nicht nur fundamentalistische Einstellungen. Viele Menschen sind aber heute von der Ursprungsreligion abgerückt und haben sich mehr oder weniger ihre eigene Religion zusammen geschustert. Das ist in der Tat nicht mehr fundamentalistisch. Fundamentalismus wird oft auch mit Gewalt und Intoleranz gleich gesetzt. Eine interessante Feststellung, um darüber zu diskutieren, welche Religionen wohl die humaneren sind.
  • Auf Seite 110 wird über die Methode der „Hermeneutik – die Kunst der Auslegung“ geschrieben. Mit dieser „Kunst“ werden alte Texte behandelt, um herauszufinden, was die Menschen damit gemeint haben. Leider wird hier nicht auf das Problem eingegangen, dass mit dieser Deutungskunst die alten Texte außerordentlich verschieden gedeutet werden und dass man darum bemüht ist, religiöse Texte immer so auszulegen, dass sie dazu geeignet sind, auch die heute lebenden Menschen für diese Religion zu begeistern. Da z.B. die Bibel eine außerordentlich große Anzahl im Grunde inhumaner Aussagen enthält, gibt es heute regelrechte Verdrehungskünstler, die es schaffen, all diesen Aussagen einen humanen Schliff zu geben. Zum Beispiel deutet Hans Küng Gottes Zorn (Aufforderung zu grausamen Eroberungskriegen, zum vielfachen Massenmord, zum Genozid, Zulassung grausamster Qualen ….) so, dass er sagt: „Gottes Zorn (Hass, Abscheu, Rache) meint keinen irrationalen Ausbruch, keine eigenständige Unheilsamkeit, sondern die andere Seite seiner Liebe, seines heiligen Willens, Ausdruck nämlich seines Widerwillens gegen alles Böse und seines Unwillens gegen den Sünder“ [3]  – Sollen die Schüler wirklich in so eine fragliche „Auslegungskunst“ eingewiesen werden?
  • Der Abschnitt „Letzte Fragen – letzte Antworten“ erscheint mir sehr nebulös. Welche Antwort kann denn die Philosophie nicht bieten, die die Religion bieten kann? Wie sieht die Antwort der Religion aus? – „Das Heilige“ – ist das als Erklärung hinreichend? Ist Religion wegen „dem Heiligen“ einleuchtender? Heilig, das heißt doch nur, unantastbar, oder bei Fragen: „Hier darfst du nicht weiter fragen.“ Ein „Hier darfst du nicht weiter fragen.“ bietet doch aber keine Antwort! – Unter der Überschrift hätte ich mir eher eine Erklärung vorgestellt, wie das mit der Letztbegründung gemeint ist. Das nämlich ist eine interessante philosophische Angelegenheit. Man fragt bei allem „Warum“? Und bekommt darauf eine Antwort. Irgendwann aber sollte es mal ein „Warum“ geben, auf das es keine Antwort mehr geben kann. Gottesgläubige behaupten, diese Antwort wäre „Gott“. – Warum sollte man aber nicht fragen dürfen, was die Ursache für „Gott“ ist? Und warum sollte es eine letzte Ursache ohne eigene Ursache geben? – Letztlich ist es für mich auch völlig unverständlich, warum religiöse Texte Antworten auf Fragen wie „Wer bin ich? Wohin gehe ich hin? Was ist die Welt? Was soll ich tun, um gut Mensch sein zu können“ geben sollen – bessere Antworten, wie Religionsvertreter behaupten, als nicht religiöse Texte. So mancher Theologe behauptet ja auch, Atheisten hätten überhaupt keine Antworten auf diese Fragen. Sie tragen Professorentitel und gehen mit solchen Behauptungen auf Tournee. [4]  Sie können so gut reden, dass ihre Überzeugungen bis in die Lehrbücher wandern, auch in Ethiklehrbücher. Den Wahrheitsgehalt solcher anmaßenden Aussagen erhöht das trotzdem nicht.                                                                                                        
  • Die viel gelobte Frage „Wer bin ich?“ wird aber auch auf Seite 112 nicht beantwortet.
  •  „Woher kommt das Böse?“ wird interessanter Weise beantwortet mit: „Von der Erkenntnis.“ (S. 112) – Interessant deshalb, weil Religionsstifter wirklich kein Interesse daran haben, dass ihre Gläubigen Erkenntnisse haben. Umso leichter würden ihre Betrügereien auffliegen. Solche Geschichten, die die Erkenntnis für das Böse verantwortlich machen, sind wirklich bestens geeignet für das Inschachthalten von Gläubigen. Wissen macht ungläubig.
  • Auf Seite 114 lesen wir über Anhänger monotheistischer Religionen: „Soweit sie in der Tradition der Aufklärung stehen, gilt das moralische Handeln nicht als blinder Gehorsam gegenüber göttlichen Geboten, sondern kommt aufgrund einer eigenen Entscheidung für den Glauben an Gott zustande.“ – Das heißt, ohne Gottesglauben gibt es kein moralisches Handeln. Das bedeutet gleichzeitig, diese Menschen sind davon überzeugt, alle nicht Gottesgläubigen (von denen auch gern als „Gottesleugner“ beschimpft) könnten nicht moralisch handeln. Diese Überzeugung gipfelt in der Praxis in solchen Aussagen, wie denen von Kardinal Meisner (einige Beispiele):
  • 1991 warf er im Soldatengottesdienst (!) allen Nichtchristen „menschenverachtenden Kannibalismus“ vor, nur ein gläubiger Mensch sei „auf Dauer ein friedfertiger Zeitgenosse“.
  • 1992 geht er weiter: „Unter den Nichtgläubigen säßen wirklich die Verantwortlichen für die gegenwärtige Ausländerfeindlichkeit.“
  • 2005 behauptet er, wenn Eltern ihre Kinder nicht religiös erzögen, machten sie diese zu „geistigen Krüppeln“ und
  • 2007 verkommt „Menschlichkeit ohne Gottesglauben [ … ] in Brutalität“. [5]  
  • 2009 vergleicht Meisner das Weltbild des Evolutionsbiologen Richard Dawkins mit dem der Nazis
  • 2010 behauptet Meisner: „Abgeschnitten von allen geistigen und religiösen Wurzeln verliert die sogenannte wissenschaftliche Vernunft das Korrektiv für ihr Denken und Handeln.“
  • Die Behauptung, ohne Gottesglauben könne man nicht moralisch handeln, führt zu einer Diskriminierung von Atheisten und hat nichts im Ethikunterricht zu suchen. Eher sollte man über eine Gefahr reden, die aus der organisierten Gottesgläubigkeit erwächst, die Gefahr, dass Gottesgläubige in ihrem Denken und Handeln manipuliert werden und somit – im Namen Gottes – von oben diktiert bekommen, was moralisch richtig ist und was nicht. Im Krieg führt das dazu, dass Menschen im Namen ihres Gottes morden.
  • Auf Seite 114 wird auch der Begriff „Nächstenliebe“ aufwertend für das Christentum angesprochen. Warum vergöttern wir das Gebot der Nächstenliebe auch als nicht gläubige Gesellschaft? Auf den ersten Blick scheint das ganz schön zu sein. Wir lieben einfach alle unsere Mitmenschen und schon haben wir eine humane Gesellschaft. Schon auf den zweiten Blick klappt das aber nicht. Weil, Liebe lässt sich nicht befehlen. Schon gar nicht gegenüber Menschen, die man nicht mag. Allumfassende Nächstenliebe oder gar Feindesliebe ist unerreichbar und erzeugt deshalb nur Schuldgefühle. Solche Ansprüche dienen allenfalls dazu, dass Menschen auch andere Anforderungen, die an sie gestellt werden, nicht erfüllen. Weil, man gewöhnt sich leicht daran, dass man Ansprüche sowieso nicht erfüllen kann. Das christliche Gebot der Nächstenliebe entpuppt sich bei näherer Betrachtung auch nur als ein „Lieb dich selbst!“ Weil, es geht hier nicht so sehr um das Wohl der anderen, sondern um das eigene Wohlergehen (nach dem Tod). [6]                                                                                     
  • Auf Seite 115 lesen wir: „… Bilder vom göttlichen Weltgericht. Ihrem Ursprung nach wollen sie keine Angst, sondern Mut machen. Sie rufen die Menschen auf zum Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit in dieser Welt – diese seien Gottes Wille, der aber erst im Jenseits ganz verwirklicht werde.“ – Rufen diese Bilder wirklich auf zum Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit? Konnte den Menschen, die damals jeden Tag daran glaubten, der Weltuntergang stehe unmittelbar bevor, noch etwas an Frieden und Gerechtigkeit liegen? Wo ja eh auf Erden sehr bald alles vorbei sein sollte? War nicht eher die Furcht vor dem Jüngsten Gericht Anlass, sich nach Gottes angeblichem Willen zu verhalten, also auch alle Andersgläubigen zu vernichten? Das, was die Menschen damals unter Gerechtigkeit verstanden, war auch nicht gleichbedeutend mit dem, was wir heute unter Gerechtigkeit verstehen. Gerechtigkeit heißt im Christentum leider allzu häufig: Wohlergehen für die Gläubigen und die, die sich an die Forderungen ihrer Religion halten und Nachteile für alle Andersgläubigen, erst recht für Nichtgläubige. …                                                                                                                                
  • „Religionen verlangen im Allgemeinen vom Menschen moralisches Handeln. Doch vertreten sie damit keine Sondermoral oder verstoßen gegen die menschliche Vernunft, ….“ – Meine Frage: Ist der Aufruf zum Völkermord, die Zulassung grausamster Qualen, … denn kein Verstoß gegen die menschliche Vernunft?
  • Mal was Positives: Auf Seite 116 wird zu der Frage: „Brauchen wir überhaupt Religionen?“ treffend Ludwig Feuerbach zitiert: „Die Götter sind die verwirklichten Wünsche der Menschen.“ – Aus dieser Aussage lässt sich sehr schön ableiten, dass wir heute keine Götter mehr brauchen. Denn wir haben doch heute Dagobert Duck und all die anderen Zeichentrickfiguren, die unsere Wünsche vom Reichtum, von übernatürlichen Kräften und auch von einem friedlichen Zusammenleben in einer virtuellen Welt verwirklichen.
  • Davon abgesehen sind die Seiten 116 – 120 unter der Überschrift: „Brauchen wir überhaupt Religionen?“ viel zu verhalten religionskritisch. Nur am Ende des Abschnittes steht in 6 (!) Zeilen etwas zu den hier festgestellten 5 zentralen Einwänden der Religionskritik: „Die zentralen Einwände gegen den religiösen Glauben sind a) die Nähe religiöser Heilsversprechungen zu den Wünschen der Menschen, b) Erkenntnisse der Naturwissenschaften, die angeblich keinen Platz mehr für Gott lassen [7], c) der Machtmissbrauch vieler religiöser Bewegungen, d) die menschliche Freiheit, die mit göttlicher Lenkung unvereinbar sei, und e) das vorhandene Ausmaß von Leid in der Welt (Theodizeeproblem). Die meisten Kritiker wollen die Religion abschaffen, weil sie die Verbesserung menschlicher Lebensverhältnisse behindere.“ – Hier wird mit „Religion abschaffen“ der Religionskritiker auch gleich als Böse-Mensch hingestellt, der den Religiösen was wegnehmen will. So hat man galant mit 2 Sätzen das Thema Religionskritik erledigt und darf auch noch behaupten, man hätte sich in dem Lehrbuch doch sehr schön dem Thema Religionskritik gewidmet.                                                                                               
  • Auf Seite 120 wird die Pascalsche Wette dargestellt, ohne darauf hinzuweisen, dass sie auf verschiedene Weise widerlegt wurde. Allein die Vorstellung, dass Gott, falls es ihn doch gibt, gerade die bestrafen könnte, die an ihn glauben und die belohnen, die nicht an ihn glauben, reicht schon, um diese Wette ad absurdum zu führen. Die Pascalsche Wette ist darauf ausgelegt, auch bisher Ungläubige zum Glauben zu überzeugen. Sollte sie diese Funktion auch hier im Lehrbuch übernehmen? Zwar gibt es eine Aufgabe, die Wette Pascals zu prüfen, ob seine Aussagen überzeugend sind und die Schüler könnten durchaus von selbst darauf kommen, dass diese Wette der Prüfung nicht standhält. Das ist jedoch nicht sicher, da abhängig von den Schülern und vom Lehrer. …                                                                                                                      
  • Auf Seite 121 gibt es eine Aufgabe: „Informiert euch über Menschen, die als religiöse Vorbilder gelten. Woraus entsteht ihre Faszination, auch für nichtreligiöse Menschen? – Dazu stelle ich die Behauptung auf, dass religiöse Menschen, die als Vorbilder auch von religionsfreien Menschen aufgefasst werden können, ihr vorbildliches Handeln gewiss nicht aus Motiven rein religiöser Natur geschlussfolgert haben. Es gibt aber auch eine ganze Reihe so genannter religiöser Vorbilder, die bei genauem Hinsehen keine Vorbilder sein sollten. So zum Beispiel Martin Luther, der ein Buch: „Über die Juden“ mit vernichtendem Inhalt geschrieben hat, Hexenverbrennungen befürwortete, sowie überhaupt die Diskriminierung von Frauen. Auch Bauern sind unter Martin Luther reichlich inhuman behandelt worden. Ein weiteres angebliches religiöses Vorbild war Anjezë Gonxha Bojaxhiu alias Mutter Theresa oder auch der Todesengel von Kalkutta, für die der Schmerz „das schönste Geschenk für den Menschen“ war, weil er so, „am Leiden Christi teilnehmen kann.“ Die millionenfach eingesammelten Spendengelder setzte sie nicht dazu ein, um die Not der Menschen zu lindern, sondern hortete sie auf Konten des Vatikans. Die Entpuppung so mancher religiöser „Vorbilder“ fand im Frühjahr 2010 im Zusammenhang mit unzähligen Missbrauchskandalen – sexueller Missbrauch von Kindern durch Kirchenleute – statt.                                                                                               
  • Weiter unten auf Seite 121 steht spitzfindig formuliert: „… nicht zuletzt ist es die Lebensführung, etwa die Zuwendung zu Armen und Hilflosen, an welcher der moralische Kern einer Religion abgelesen werden kann.“ Ja, natürlich, kann. Genauso, wie der Kern einer religionsfreien Weltanschauung. Dazu sollte man die Art der Zuwendung zu Armen und Hilflosen aber genauer unter die Lupe nehmen. Finanziert man das selbst oder lässt man das z.B. vom Staat bezahlen, wie Caritas und Diakonie, deren Geschäfte keinesfalls selbstlos sind? Und der moralische Kern lässt sich eben nicht nur an positivem Handeln ablesen, sondern auch an negativem Handeln.                                                                                              
  • Am Schluss des jetzt reichlich kritisierten Kapitels „Religion – Was ist das?“ gibt es noch eine Aufgabe: „Überlege und begründe: Welche Glaubenssätze der Religionen leuchten dir persönlich ein, welche nicht?“ – Hier besteht die Gefahr, die Übereinstimmungen, die zwangsläufig entstehen, so zu deuten, dass man wirklich teils mit der Religion übereinstimmt und diese Religion deshalb in ihrem Wesen doch gar nicht so inhuman sein kann? Hätte man sich auch getraut, zu fragen, welche Glaubenssätzen der Nazis den Schülern einleuchten?

7. Kapitel: „Buddhismus und chinesische Weisheit“

  • In diesem Kapitel erfährt man einiges über den Buddhismus und über die Faszination des Dalai Lama. Jedoch völlig kritiklos. Man hätte auch darauf eingehen müssen, dass der Dalai Lama von den westlichen Medien zu Unrecht als Person des Friedens hochgespielt wurde, denn: „Dass er wenige Tage zuvor“ [vor einer Gewaltwelle in seinem Land] … anlässlich des 49. Jahrestages des chinesischen Einmarsches in Tibet eine Brandrede gehalten hatte, die als zentraler Auslöser für die Ausschreitungen am 11. März gesehen werden muss, wurde ebenso wenig berichtet wie über seine Kontakte zum exiltibetischen Kampfverband „Tibetan People’s Uprising Movement“, der sich Anfang Januar im nordindischen Dharamsala konstituiert und den zielgerichteten Einsatz von Gewalt auf seine Fahnen geschrieben hatte..“ und: „Jenseits aller Friedensrhetorik betont der Dalai Lama immer wieder Gewalt als prinzipielle Option. Bei einem öffentlichen Auftritt an der Stanford University beispielsweise unterstrich er, es sei nicht nur erlaubt, Gewalt mit Gegengewalt zu beantworten, vielmehr sei dies manchmal das genau richtige.“ [8]

8. Kapitel: „Zusammenleben in Vielfalt“

  • Der Abschnitt „Frauenschwimmen für Muslima“ wäre ein schöner Einstieg, um die Unter-drückung der Frau im Islam und auch in vielen in Deutschland lebenden islamischen Familien zu thematisieren. Auch ein Hinweis auf den Zentralrat der Ex-Muslime und auf seine Anliegen hätte für die Schüler erhellend sein können. Vielfach wird ja noch geglaubt, alle Einwanderer aus den islamischen Ländern wären Moslems. Tatsächlich gibt es aber auch eine ganze Reihe von Menschen, die dort wegen religiöser Unterdrückung und Verfolgung ausgewandert sind.                                                                                                                 
  • Über das „Projekt Weltethos“ wird auf Seite 157 berichtet. Das ist ein Projekt für religiöse Menschen, das religionsfreie Menschen ausschließt. Ein Projekt, das sicher in gewisser Hinsicht hilfreich ist, eben, um auch religiöse Menschen zu humanem Handeln zu bewegen. Jedoch ist es nicht ohne Gefahr. Wenn da z.B. gefordert wird: „Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und die Partnerschaft von Mann und Frau“ sollten die Alarmglocken läuten und man sollte sich fragen, was denn mit den Partnerschaften von Mann und Mann und von Frau und Frau ist. Was versteht das Projekt unter einer „gerechten Weltordnung“ und unter „Wahrhaftigkeit“? Richtet sich die „Ehrfurcht vor allem Leben“ versteckt gegen das Selbstbestimmungsrecht der Frau, ein Kind auszutragen oder nicht?

10. Kapitel: „Vom Mythos zum Logos – zum Mythos?“

  • Der Begriff Mythos scheint nicht hinreichend erklärt. Moderne Mythen sollten intensiver beleuchtet werden. Dazu gehört auch der Mythos, dass die Kirchen sozial wären. Da sie nur soziale Leistungen erbringen, die vom Staat, von den Krankenkassen oder auch privat finanziert werden, sind sie nur ein Dienstleister auf dem sozialen Markt. [9]  Zudem verhalten sie sich insbesondere zu ihren Angestellten reichlich unsozial, da sie sie unter dem Tarif bezahlen und ihnen Vorschriften für ihren Lebenswandel machen. So werden Angestellte bei sozialen Dienstleistungsbetrieben der Kirche häufig entlassen, wenn sie nach einer Scheidung wieder heiraten oder wenn sie einen Partner heiraten, der zuvor schon mal verheiratet war. – Auch das Thema Scharlatanerie in der Medizin sollte hier mit behandelt werden. [10] Das wäre auch etwas, was die Schüler unmittelbar betreffen kann.

11. Kapitel: „Wissenschaft und Verantwortung“

  • Ganz am Anfang dieses Kapitels stehen zwei überspitzte Themen aus dem Bereich Bioethik: „Menschenmaschinen – hat die Zukunft begonnen?“ und „Embryonen als Ersatzteillager?“ der Autorinnen Charlotte Kerner und Birgit Rabisch, die beide in ihren veröffentlichten Biographien nichts über ihre ideologische Gesinnung schreiben, jedoch von evangelischen und katholischen Institutionen für ihre Bücher zu bioethischen Themen zahlreiche Auszeichnungen erhalten haben und auch bevorzugt im Religionsunterricht beim Thema Bioethik behandelt werden. In der einen Geschichte geht es um die Vision, dass Kinder in einer künstlichen Gebärmutter heranwachsen könnten und darum, mit dieser Vision bei den Lesern Schrecken hervorzurufen und Abneigung am besten gleich gegen alle Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin zu verankern. Die zweite Schriftstellerin kam auf die Idee, Menschen zu klonen. [11]  Den einen Zwilling jedenfalls ließ die Autorin bei seinen Eltern aufwachsen, den zweiten in einem so genannten Hort als Ersatzteillager für den ersten Zwilling. Eine Idee, die selbstverständlich eine Ablehnung des Klonens unterstützen soll, die jedoch mit den Ideen der Wissenschaftler, die im Bereich therapeutisches Klonen forschen und sich vorstellen, eines Tages aus dem Erbmaterial eines kranken Menschen nur ein einzelnes Organ, z.B. ein Herz oder eine Niere, zu züchten, herzlich wenig zu tun hat. – Hier werden durch Horrorgeschichten hilfreiche Vorstellungen und Methoden der modernen Biowissenschaften von vornherein verteufelt, mit dem Ziel, dass die Schüler alle Methoden der Reproduktionsmedizin ablehnen sollen. Diese Vorgehensweise muss aus humanistischen Gründen abgelehnt werden, denn die Reproduktionsmedizin ist für viele ungewollt kinder-lose Paare heute ein großes Glück. Nach den Regeln der Statistik dürfte durchschnittlich in jeder 2. bis 3. Schülerklasse ein Kind sitzen, das sein Leben den Möglichkeiten der modernen Reproduktionsmedizin verdankt. … – Ausführlicher behandele ich das Thema Bioethik in meiner umfangreichen Kritik zu dem Bioethik Unterrichtsmaterial der Aktion Mensch. [12]
  • Am Ende dieses Abschnittes steht ein Projekt zur Präsentation eines ethisch umstrittenen Themas. Vorgeschlagen wird u.a. ein Thema „Geschlechtsumwandelungen“. Dieser Begriff zeugt von einem mangelhaften Wissen der Autoren zum Thema Transsexualität. Es gibt keine „Geschlechtsumwandlungen“, sondern nur geschlechtsangleichende Operationen. Das Geschlecht eines Menschen, das eben nicht in seinen Organen, sondern im Gehirn des Menschen verankert ist, kann nicht umgewandelt werden. Es ist jedoch heute möglich, die Körper von Frauen, die in einem männlichen Körper geboren wurden und von Männern, die in einem weiblichen Körper geboren wurden, dem tatsächlichen Geschlecht anzugleichen, damit sich auch diese Menschen in ihrem Körper zu Hause fühlen können. „Geschlechts-umwandlung“ ist daher ein diskriminierender Begriff, da er assoziiert, diese Menschen wären nicht ganz dicht und wollten einfach nur so in einem Körper des anderen Geschlechtes leben. Für ein Ethiklehrbuch ist so ein diskriminierender Begriff denkbar ungeeignet.

12. Kapitel: „Glück und Sinn des Lebens“

  • Dieser Abschnitt beschäftigt sich u.a. mit Glücks- und Sinnverheißungen menschenfeindlicher Gruppen und darunter mit dem Satanismus (Seite 232). Der einleitende Text assoziiert, Unzufriedenheit würde häufiger zum Abrutschen in Sekten führen. Und Sekten wären irgendwie gleich zu setzen mit Satanisten. In diesem Zusammenhang sollten die Schüler unbedingt ein Wissen darüber haben, was Sekten sind und welche Merkmale Sekten haben. In einer kritischen Untersuchung könnte man die Merkmale von Sekten mit verschiedenen Religionen vergleichen.                                                                                                                 
  • Die Reinwaschung des Christentums in einer Art Schwarz-Weiß Malerei im Vergleich mit dem Satanismus ist unzulässig. Zitat aus dem Lehrbuch, S. 232: „In der Bibel heißt es zu Beispiel: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst! Weitere Regeln für ein gelingendes Zusammenleben enthalten die Zehn Gebote – … Radikal anders präsentiert sich der Satanismus.“ Genauso gut hätten wir aber eine gewaltsame Szene aus der Bibel nehmen können, z.B. aus Sodom und Gomorrha, wo es um Hass gegen homosexuelle Menschen geht, umgesetzt mit der Hinrichtung von homosexuellen Menschen. Wir hätten den Aufruf zur Tötung von „Hexen“ aus den 10 Geboten beispielhaft hinstellen können und das Ganze dann vergleichen mit harmlosen satanischen Gruppierungen, wie z.B. den Black- und Death-Metal-Fans.                                                                                                             
  • Es ist richtig, auf die Gefahren des Satanismus hinzuweisen, wenn er zum Glück auch nicht so stark verbreitet ist. Wo er in seiner gefährlichen Form praktiziert wird, führt er involvierte Menschen in große Not. Ein anschauliches Beispiel dafür bietet übrigens das nach einem authentischen Fall geschriebene Buch: „Isis, Fürstin der Nacht“ von der Autorin Karin Jäckel.                                                                                                                                
  • Genauso wichtig wäre es allerdings, auf die Gefahren der herrschenden Religionen und auch des Christentums hinzuweisen. Das vermisse ich in dem vorliegenden Lehrbuch durchgängig!                                                                                                                       
  • Steht ein umgekehrtes Kreuz wirklich für die Verkehrung von Werten wie Mitmenschlichkeit in ihr Gegenteil? Kann es nicht auch Ausdruck des Protestes gegen die Kirchen und gegen deren teils auch Menschen verachtende Praktiken sein? Das Kreuz symbolisiert nicht unbedingt Mitmenschlichkeit – es symbolisiert vor Allem die Hinrichtung eines Sohnes durch seinen Vater und die Eintrichterung von Schuld in die Menschen, denen man erzählt, dieser Vater hätte seinen Sohn zu ihrer Rettung grausam hingerichtet. Somit kann ein umgekehrtes Kreuz ein sehr menschliches Symbol des Protestes gegen solche Handlungen sein. Auch die Zahl 666 wird häufiger als Protestsymbol benutzt. Wer sie trägt, muss nicht zwangsläufig Menschen verachten oder sich dem Satanismus zugehörig fühlen.                                                                   
  • Nicht alle Satanisten sagen, es gibt keinen Gott außer den Menschen. Die satanische Sekte, die in dem Buch „Isis – Fürstin der Nacht“ beschrieben wurde, verehrte eher vorchristliche Götter. Solche Gruppierungen sind von ausgeprägter hierarchischer Struktur und zelebrieren außergewöhnlich demütigende Rituale. – Daneben gibt es noch den satanischen Vandalismus, Menschen mit Zerstörungswut. Zusammenfassend betrachtet geht es auch hier nur um Machtausübung ohne Rücksicht auf den Menschen. Und in dieser Sicht ist man so mancher anderen Religion wieder sehr nahe. …                                                                                    
  • Letztlich sollte man bedenken, dass der Satanismus wohl aus Protest gegen das Christentum bzw. gegen die Kirchen entstanden ist. Was von den Kirchen verboten wird (z.B. diverse Dinge im Zusammenhang mit Sex) wird in satanischen Sekten besonders exzessiv betrieben. Der Teufel ist ja auch eine christliche Idee. Die Verantwortlichkeit des Christentums für den Satanismus liegt nahe.                                                                                                                        
  • Glücks- und Sinnverheißungen gibt es nicht nur im Satanismus. Der größte Glücks- und Sinnverheißer unserer Zeit, das sind wohl die Kirchen, die immer ausgeklügelter um junge Mitglieder werben. Warum wird den Jugendlichen das nicht bewusst gemacht?

Mit der größten Hoffnung auf eine qualitative Verbesserung der Ethiklehrbücher und des Ethikunterrichtes

Beate Turner

[1] Ausnutzung in religiösen Hierarchien durch die religiösen Herrscher -> Steuerung des Handelns der Menschen durch Versprechen von Belohnungen oder Drohen mit Strafen nach dem Tod.

[2]  http://www.nzzfolio.ch/www/d80bd71b-b264-4db4-afd0-277884b93470/showarticle/ee5fb4c5-54b6-4867-8a62-95c0b21f7253.aspx

[3]  Hans Küng: „Christ sein.“, 1978, S. 369

[4]  siehe z.B. Prof. Dr. Biesinger

[5]  http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11554 / http://hpd.de/node/8132?page=0,0

[6]  Zur näheren Erläuterung dazu: Gerhard Streminger: „Die Jesuanische Ethik“

[7]  Man bemerke: „angeblich“ – daraus ist bereits die Position des Verfassers zu den Einwänden der Religionskritik ablesbar. „Angeblich“ behauptet, Religionskritik wäre eh nur Spinnerei. „Keinen Platz mehr für Gott lassen“ ist auch krumm ausgedrückt. Es geht in der Religionskritik jedoch darum, dass die Naturwissenschaften eine ganze Reihe von religiösen Behauptungen widerlegen.

[8]  http://hpd.de/node/6291

[9] Eine umfangreiche Analyse dazu bietet z.B. „Caritas und Diakonie in Deutschland“ von Carsten Frerk.

[10]  Infos dazu z.B. bei der Gesellschaft für Parawissenschaften unter http://www.gwup.org/

[11] ob das in ihrem Roman bereits vor dem Transfer in die Gebärmutter oder in der Gebärmutter durch einfache natürliche Zellteilung geschah oder erst später aus einer Zelle des bereits geborenen Kindes, geht aus dem Textausschnitt nicht hervor

[12]  www.1000fragen.de                  

www.reimbibel.de/BT3.htm