Unter dem Aspekt der Religionskritik habe ich mehrere Ethiklehrbücher, so auch das Ethiklehrbuch „Eine Welt für alle“ für die 9. und 10. Klasse durchgearbeitet.
Dieses Lehrbuch enthält viele interessante Themen, gibt den Schülern viel zum Nachdenken und trägt gewiss zu einem besseren interkulturellen Miteinander bei. Die Kapitel 1 – 6 habe ich bis auf die unten genannten Inhalte mit viel Freude und mit viel Respekt vor dem Autorenteam gelesen. Das 7. Kapitel hingegen erhält aus der Sicht einer religionskritisch belesenen und eingestellten Person von mir nur ein „ungenügend“.
Im Folgenden kommentiere ich mit Verweis auf das Kapitel und die Seite – die Stellen – die ich für kritikwürdig halte. Zudem verweise ich auch auf einige Inhalte, die als besonders fortschrittlich zu bezeichnen sind.
Kapitel 2: Seinen Weg ins Leben finden
- Die Frage auf Seite 43: „Wie wird in Werbung die Würde der Frau bzw. der Menschen verletzt?“ – Bevor solche Fragen gestellt werden, sollten sich die Schüler mit dem Begriff Menschenwürde auseinander setzen. Menschenwürde – das ist ein undefinierter Begriff, der gegenwärtig unter verschiedenen ideologischen Blickwinkeln ganz unterschiedlich verwendet wird! [1]
Kapitel 3: Freiheit, Verantwortung und Solidarität
- Warum muss ausgerechnet Hans Küng als Kritiker der Hirnforschung in Bezug auf widerlegte Willensfreiheit genommen werden (S.63)? Die Schüler würden ihm zustimmen, da das Problem wirklich schwer zu begreifen ist. Soll hier Sympathie für Küng erweckt werden? – Hans Küng ist mit Vorsicht zu genießen. Er ist ein Theologe und ein Verdrehungskünstler, der es versteht, sämtliche inhumanen Bibelstellen so zu verdrehen, dass sie uns human erscheinen.
- Eventuell ist das Thema Willensfreiheit zu schwer für die 9. / 10. Klasse. Sonst empfehle ich diesen Aufsatz von Michael Schmidt-Salomon: http://www.schmidt-salomon.de/freiheit.htm
- Auf Seite 68 gibt es eine – gegenüber anderen Lehrbüchern – sachliche Einführung in das Thema Klonen. Es wird auch genauer beschrieben, worum es eigentlich geht. Die Geschichte auf Seite 70 bringt Klonen wieder in Verbindung mit gewissen Erwartungshaltungen gegenüber dem Kind. Diese Betrachtungsweise ist einseitig. Es gibt Paare, die die Möglichkeit des Klonens – falls gesundheitliche Risiken für das Kind nahezu ausgeschlossen wären, was ja nicht der Fall ist – in Anspruch nehmen würden, weil sie selbst unfruchtbar sind und dies für sie die einzige Möglichkeit wäre, ein genetisch eigenes Kind zu bekommen. Ein solcher Fall, der nichts mit Erwartungshaltungen an Eigenschaften des zukünftigen Kindes zu tun hat, wird jedoch nicht zur Diskussion gestellt. Auf Seite 71 wird leider auch wieder auf das schon im Zusammenhang mit anderen Lehrbüchern von mir kritisierte Buch „Blueprint“ von Charlotte Kerner verwiesen. Die Geschichten von Kerner und Rabisch sind christlich-ideologisch motivierte Phantasiegeschichten nicht geklonter Personen.
- Im Zusammenhang mit dem Thema Embryonenforschung wird ein etwa 12 Wochen alter Embryo abgebildet. Das ist sachlich falsch, denn Embryonenforschung wird nur an Wenigzellern, die wenige Tage alt sind, betrieben. Zu dem Zeitpunkt sieht der Embryo noch nicht aus, wie ein Mensch, sondern etwa so: Die Darstellung in einem Stadium, wo der Embryo schon aussieht, wie ein Mensch, erweckt falsche Assoziationen. Leider ist das ein beliebtes Mittel zur Meinungsmanipulation, hat aber nichts in einem Ethiklehrbuch verloren.
- Um helfende Berufe geht es auf der Seite 84/85. Ist es Zufall, dass hier das Beispiel Caritas gewählt wurde? Helfende Berufe gibt es auch in nichtchristlichen Einrichtungen. Wir sollten davon abrücken, kirchliche Einrichtungen als besonders sozial einzustufen. Sie sind es nicht. Sie sind Dienstleistungsbetriebe, die von den Krankenkassen und vom Staat finanziert werden und die zudem – gerade bei den kirchlichen Einrichtungen – ihre Mitarbeiter unter Tarif bezahlen und sogar noch in ihrer Lebensweise bevormunden. – Die Frage: „Ist es moralisch gut, mit Helfen Geld zu verdienen?“ ist jedoch positiv zu bewerten. Man könnte hier in der Tat darauf kommen, dass der wirklich Helfende der Finanzierer und nicht das Dienstleistungsunternehmen ist.
Kapitel 4: Diskriminierung, Gewalt und Toleranz
- Positiv hervorheben möchte ich die Aufnahme der Geschichte der Hypatia von Alexandria, die wegen ihrer Kritik am Bischof brutal ermordet wurde. Auch der Hinweis darauf, dass es weitere Philosophen gab, die ihre Überzeugung von einer gerechten Gesellschaft mit dem Leben bezahlen mussten, wie Sokrates und Giordano Bruno, ist ein guter Anfang. Ein Hinweis darauf, dass es nicht nur diese Personen waren, sondern dass gerade die Kirche 1.000-de von Menschen wegen ihrer Überzeugung hinrichten ließ, wäre noch realitätsnaher gewesen.
- Auch „John Locke: Ein Brief über Toleranz“ ist sehr Gewinn bringend für den Ethikunterricht. Leider kommt in dem Abschnitt die Kritik am Toleranzbegriff und die Abgrenzung zur Akzeptanz nicht heraus. (Toleranz=Duldung / Akzeptanz=Anerkennung) In der Richtung könnte man den Beitrag noch verbessern. Es wäre auch schön, wenn auch mal über die Nichtakzeptanz des Atheismus in religiösen Kreisen ein Beitrag käme. Zum Beispiel die Rede des Bundespräsidenten Wulff, die sich an Angehörige der verschiedenen Religionen wandte, nicht aber an die Atheisten.
- John Locke schreibt u.a.: „… auch hat keine von ihnen irgendeine Art von Gerichtsbarkeit über eine andere … Denn die Staatsgewalt kann der Kirche kein neues Recht geben, noch die Kirche der Staatsgewalt, so dass, ob nun die Obrigkeit zu einer Kirche gehört oder von ihr getrennt ist, die Kirche immer das bleibt, was sie vorher war – eine freie und freiwillige Gesellschaft.“ – Dazu könnte man die Schüler fragen: Ist diese Forderung heute in Deutschland umgesetzt? (Man wird darauf kommen, dass das leider nicht so ist.) Eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Trennung von Staat und Kirche“ halte ich für unabdingbar, da es in unserem Staat ein großes ethisches Problem ist, dass durch die Einmischung der Kirchen in unsere Gesetze auch nicht- und andersreligiöse Menschen christlich-religiös bevormundet werden.
Kapitel 5: Gleiches Recht für alle
- S. 104: „… und dies ist ein Zustand vollkommener Freiheit, mit der sie über ihre Handlungen gebieten und nach Gutdünken über ihre Besitztümer und ihre Person verfügen, …“ – Man könnte die Schüler fragen: Ist das heute gegeben?
- Im Abschnitt „Das Recht auf Widerstand“ wird über die Weiße Rose berichtet. In deren hier abgedruckten Flugblättern kommt eine christliche und anti-atheistische Einstellung zum Ausdruck: „verhindert das Weiterlaufen dieser atheistischen Kriegsmaschine“. Wenn auch gewiss diese Aktion als Ganzes vorbildlich hingestellt werden kann, so war doch die Sichtweise dieser Gruppe auf die Rolle des Christentums und die Rolle des Atheismus im Krieg nicht korrekt. Um kein verzerrtes Bild bei den Schülern zu hinterlassen, sollte die Rolle des Christentums im Krieg behandelt werden (Verfolgung von Juden und Homosexuellen; Aufruf der Kirchen, im Namen Gottes in den Krieg zu ziehen). Das Lehrbuch „Abenteuer Ethik“ schreibt über die Aktivitäten der Weißen Rose, ohne deren religiöse Einstellung zu durchleuchten. Evt. könnte man diese Methode übernehmen.
6. Kapitel: Hat jeder Mensch ein Gewissen?
- Auf Seite 145 befindet sich ein Statement von Josef Ratzinger zum Thema Verantwortung. An diesem Statement ist inhaltlich nichts auszusetzen. Jedoch stellt sich die Frage, ob zum Thema Verantwortung nicht auch noch andere Personen etwas Kluges gesagt haben. Muss man so eine wichtige Aussage gerade von einem Mann kommen lassen, den sonst – bis auf seine fundamentalistischen Anhänger – keiner ernst nehmen kann, der schon so viel Verantwortungsloses gesagt hat …? Beabsichtigt man mit dieser Auswahl das Ziel: Sympathie für den Papst gewinnen?
- Gewissensentscheidungen lassen sich orientieren an – der Bibel? (S. 146) – Wirklich? In der Bibel steht so viel Unverantwortliches und Gewaltvolles drin, dass man wohl seine Gewissensentscheidungen nicht unbedingt an diesem Werk ausrichten sollte. … Natürlich könnte man Gewissensentscheidungen auch an nationalsozialistischem Gedankengut orientieren, was ebenfalls gewiss machbar wäre, allerdings nicht zu empfehlen. Das zu schreiben, darauf wäre das Autorenteam gewiss nicht gekommen. Warum dann aber ausgerechnet die Bibel?
7. Kapitel: Wissen, glauben, hoffen
- Die Definitionen von Religion auf der Seite 159 sind ohne Quelle, d.h., die Schüler müssen entgegen der Realität annehmen, das wären allgemein verbindliche Definitionen. Die ungenannten Autoren beabsichtigen hier wohl, alle Menschen religiös zu machen. Man schaue auf die abgedruckten Definitionen:
- „Unter Religion versteht man ein System von Deutungen und Wertungen, an denen der Mensch Rückhalt findet, wenn es um das Ganze und Letzte von Welt und Leben geht, um Heil und Unheil, Tod und Leben. Jeder Mensch bedarf eines solchen Rückhalts, so dass behauptet werden kann, dass ein Mensch ohne irgendeine Form von Religion nicht vorstellbar sei.“
- „Religion ist eine Bindung an Werte, die den Zusammenhalt einer Gruppe grundlegend bestimmen.“
- Hier hätte zumindest ein Autorenname drunter gehört. Danach können die Schüler ja diskutieren, was sie unter Religion verstehen. In unserem allgemeinen Sprachgebrauch ist Religion mit übernatürlichen Vorstellungen verbunden. Meine kurze Recherche ergab, dass es wohl keine allgemeine Definition für Religion gibt. Das weckt natürlich ein Missbrauchspotential, um das, was wir eigentlich unter Religion verstehen, mit anderen Erscheinungen nach Belieben zu vermischen und dann zu sagen: Wir sind doch alle religiös!
- Auf der Seite 162 bezeichnet man die wissenschaftliche Beschäftigung mit religiösen Themen als Merkmal von Religiosität. Das möchte ich abstreiten. Wer sich wissenschaftlich mit einer bestimmten Krankheit beschäftigt, leidet ja auch nicht unbedingt unter dieser Krankheit. Die Bezeichnung von Jugendweihe, Fußball und Konzert als religiöse Riten halte ich für deutlich überzogen. Ich möchte mich nicht als religiösen Menschen bezeichnen lassen, nur, weil ich gern ins Konzert gehe und weil ich eine säkulare Feier zum Eintritt ins Erwachsenenalter befürworte. Hier wird Gleichmacherei betrieben. Nach dem Motto: Wir sind doch alle gleich. Das sind wir aber nicht in Bezug auf die Gottesgläubigkeit. Auch dann nicht, wenn eine gottesgläubige Person gern in das gleiche Konzert geht wie eine atheistische Person. Sie teilen dann ihren Musikgeschmack, aber nicht ihre Weltanschauung. Wir sagen ja auch nicht, wir sind alle ein bisschen homosexuell, weil wir auch Menschen des gleichen Geschlechtes als nett empfinden.
- Die Geschichte, „Der liebe Gott und die Bomben“ auf Seite 163 und den Auszug aus Tilmann Mosers Buch: „Gottesvergiftung“ möchte ich als positiv hervor heben. Hier regt das Buch tatsächlich dazu an, darüber nachzudenken, dass der Gottesglaube auch negativ gesehen werden sollte.
- Auf der Seite 168 ff. wird über Jesus geschrieben. Die Schreibform wurde so gewählt, dass der Leser glauben muss, diese Figur hätte nachgewiesener Weise gelebt und auch nachgewiesener Weise so, wie es hier beschrieben wird: „J. ist aufgewachsen …“ „Er hat ein Handwerk gelernt.“ „J. begeisterte …“, …usw. Eine korrektere Schreibweise wäre diese: „J. soll aufgewachsen sein…“ „Er soll ein Handwerk gelernt haben.“ „J. begeisterte nach der Überlieferung …“, …usw.
- An dieser Stelle hätte es die Gelegenheit gegeben, mitzuteilen, wie diese Jesus Geschichte überhaupt überliefert wurde. Dass nämlich zunächst eine Art Volkssage da war, die dann aufgeschrieben wurde. Zum Zeitpunkt des ersten Aufschreibens soll J. schon mindestens 40 – 80 Jahre tot gewesen sein. Die Personen, die das aufschrieben, haben die Geschichten, so sie sich zugetragen haben, also kaum persönlich miterlebt, sondern nach dem „Stille-Post“ Prinzip überliefert bekommen. Die Geschichte wurde dann immer wieder übersetzt und abgeschrieben. Es wurde falsch übersetzt (eine berühmte Falschübersetzung ist z.B. die mit dem Kamel und dem Nadelöhr), hinzugedichtet und weggestrichen. Letztlich lag die Geschichte in mehreren 1.000 Versionen vor. So kann man sich gut vorstellen, dass vielleicht ein bisschen was Wahres dran ist, zum großen Teil aber auch sehr Vieles nicht einer Originalgeschichte von vor 2.000 Jahren zugeordnet werden kann. – Auch der aus der Jesus Geschichte abgeleitete Judenhass sollte im Unterricht beleuchtet werden. Die Christen unterstellten den Juden, sie wären für die Hinrichtung ihres Gottessohnes verantwortlich und unterdrückten, versklavten, töteten, diskriminierten und schändeten sie deshalb über die Jahrhunderte hinweg. Dies ist ein ganz wichtiger Faktor zur Geschichtsbewältigung! Warum fürchtet man sich davor, diese Herleitung in Schulbüchern abzudrucken? Wir können doch nur daraus lernen und solche Gewalt zukünftig durch ernsthafte Aufklärung und Auseinandersetzung verhindern.
- Der Text auf Seite 169: „Schuld, Vergebung, Neubeginn“ schreibt nichts darüber, dass der Christengott seinen Sohn geopfert haben soll und qualvoll habe hinrichten lassen für die Sünden des Volkes. Es ist auch nicht logisch nachvollziehbar, was durch diese grausame Tat besser geworden sein soll. Dass es Befreiung geben kann, wenn ein Mensch grausam hingerichtet wurde (der dazu noch als Mensch mit guten Taten beschrieben wurde), das ist nicht nachzuvollziehen!
- Die Bergpredigt, hier auf Seite 170 in Auszügen nacherzählt, wird ja gern als Glanzstück des Neuen Testaments bezeichnet. Ist sie das aber wirklich? Gerhard Streminger schreibt dazu in seinem Aufsatz „Die Jesuanische Ethik“:
- „Auch [in der Bergpredigt] geht es im Grunde nicht um das Schicksal anderer, sondern um das eigene Seelenheil. Worauf es wirklich ankommt, wird deutlich gesagt: Sammelt nicht Schätze auf Erden, wo Diebe nach graben und sie stehlen, sondern sammelt Schätze im Himmel! Jede Seligsprechung verkündet eine Belohnung: Am Schluss werden jene, die die Gebote befolgen, „klug“, und jene, die es nicht tun, „töricht“ genannt. Selbst in der Bergpredigt geht es also nicht um menschliche Gemeinschaft oder gar um das Wohl der Menschheit als einen Wert ansich, sondern um die eigene Besserstellung: Sei klug, vermeide die Hölle, sammle himmlische Schätze! „Wahrlich, ich sage euch, wenn ihr es einem dieser geringsten nicht getan habt, habt ihr es auch mir nicht getan. Und diese werden hingehen in die ewige Pein, die Gerechten aber in das ewige Leben.““
- Man sollte also nicht die Bergpredigt glorifizieren, sondern dann, wenn man sie behandelt, auch kritisch beleuchten.
- Die Frage an die Schüler: „Welches Gebot von Jesus würden Sie für Ihr Leben akzeptieren?“ hat den Touch, man solle diese Figur gut finden, sich mit ihr identifizieren. Mit solchen Methoden sollte man vorsichtig sein, denn mit Sicherheit haben aber auch einige Nazis mal nebenher was gesagt, was wir für unser Leben akzeptieren können. Das macht sie noch lange nicht akzeptabel. … Kinder dazu zu bringen, sich mit einem Jesus-Gebot zu identifizieren, das ist unterschwellige Missionierung und inakzeptabel, da das Christentum seinem Wesen nach eben nicht den ethischen Wert hat, der ihm allgemein zugesprochen wird. Zweck des Ethikunterrichtes sollte es auch nicht sein, eine Religion anzuerkennen, sondern allenfalls Frieden mit unseren Mitmenschen zu schließen, auch wenn sie sich zu der betreffenden Religion bekennen. Zumindest so lange, wie sie auf Gewalt verzichten.
- Die „zehn Gebote“ sind in dem Buch nicht abgedruckt, sollen aber trotzdem wiederholt werden. Leider werden die zehn Gebote im Allgemeinen selektiv vermittelt. Ich meine, die Schüler sollten wissen, dass hinter „Du darfst nicht töten“ steht: „Aber Hexen darf man nicht am Leben lassen …“ und dass sich im 1. Gebot der eifersüchtige Gott an dem rächen will, der nicht an ihn glaubt, über Generationen hinweg! Das heißt nicht, dass wir solche Gebote befolgen sollten. Jedoch haben die Schüler ein Recht darauf, die ganze Wahrheit zu wissen und nicht die Zehn Gebote als die Creme de la Creme der Ethik präsentiert zu bekommen.
- Ab Seite 172 soll den Schülern das Leben im Kloster nahe gebracht werden, indem man die Geschichte eines kleinen Mädchens erzählt, das ganz freiwillig und selbstverständlich in ein Kloster gegangen ist. An einer späteren Stelle des Buches taucht sie wieder auf mit Weisheiten, die sie als ältere Frau von sich gegeben hat. So wird es als selbstverständlich dargestellt, in ein Kloster zu gehen. Nur, wer berichtet über all die Mädchen und Jungs, Frauen und Männer, die nicht freiwillig ins Kloster gegangen sind, denen nur nichts anderes übrig blieb? Warum schreibt man nicht darüber, dass die Frauen im Kloster keine Männer kennen lernen dürfen, die Männer keine Frauen, dass sie deshalb keine Eltern werden können und dass es viele Verzweiflungstaten, Abtreibungen von schwangeren Nonnen gab, die sich heimlich mit einem Mann getroffen haben?
- In diesem Abschnitt werden Klöster gerühmt wegen der Betreibung von Wissenschaft, der Entwicklung von Medizin, wegen Buchübersetzungen und Forschung, wegen sozialen Diensten. Man könnte die Schüler auch zu einem Gedankenexperiment bewegen, in dem man fragt, ob sie denken, dass es ohne Klöster keine Wissenschaft, keine Entwicklung der Medizin, keine Bücher und keine sozialen Dienste gegeben hätte. Letztlich hätten sich doch all diese Disziplinen durchgesetzt, ganz egal, welche Orte dazu zur Verfügung gestanden hätten.
- Die Seiten 174 und 175 können einen aufgeklärten Humanisten nur verärgern: „Die evangelische und die katholische Kirche nehmen die christlichen Gebote der Nächstenliebe und Barmherzigkeit sehr ernst und engagieren sich in vielen sozialen Projekten.“ Bei solchen Aussagen kann einem wirklich der Kragen platzen, wenn man z.B. Carsten Frerk: „Caritas und Diakonie in Deutschland“ gelesen hat, wenn man die Finanzflüsse kennt und wenn man sich mal dafür interessiert hat, wie diese Einrichtungen ihre Mitarbeiter in ihrem Leben bevormunden und unter Tarif bezahlen. Das Christentum ist eine missionarische Religion. Das Hauptziel engagierter Christen ist es, das Christentum weiter auszubreiten. Deshalb gehen sie ja auf Beutefang, insbesondere unter Kindern und Jugendlichen. Deshalb jammern sie, dass sich immer weniger Menschen für sie interessieren, dass immer mehr Leute aus der Kirche austreten. Deshalb sinnen sie nach Konzepten, wie sie wieder junge Menschen für sich begeistern können. Denn klar ist: Ohne Nachwuchs kann das Christentum nicht sein Hauptziel – die Weltherrschaft – erreichen, sind die Steuergelder für die Zukunft nicht im gewünschten Umfang gesichert. Ein Ethikunterricht sollte die Schüler auf solche Taktiken aufmerksam machen und nicht noch einen Beitrag dazu leisten, damit sie auf diesen Zug leichter aufspringen werden. Es ist nicht erstrebenswert, mehr Menschen in die Kirchen zu treiben. Es ist erstrebenswert, mehr aufgeklärte junge Menschen in diesem Land heranzuziehen, sie sich aus Mitgefühl sozial engagieren. – Wie ist das mit dem christlichen Bemühen um Arme und Bedürftige in der ganzen Welt? Da kommt man ganz schnell dahinter, dass dies stets mit Missionierung verbunden ist.
- Bsp: „Weihnachten im Schuhkarton“, von „Geschenke der Hoffnung e.V.“, ein „…christliches Werk mit internationalem Profil, das Menschen in Not hilft und das Evangelium weitergibt“. In welchem Geiste diese Lektüre verfasst sein mag, kann man erahnen, wenn man die Herkunft und die Verflechtungen dieser Organisation betrachtet. „Geschenke der Hoffnung e.V.“ ist ein europäischer Ableger der „Billy Graham Evangelistic Association“, der sich erst 2001 aus „Billy Graham Evangelistic Association Deutschland“ in den heutigen Namen umbenannt hat. Billy Graham, baptistischer Erweckungsprediger, befürwortet die Todesstrafe, verdammt die Abtreibung, ist gegen Homosexuelle und hat seinerzeit durch Massenpredigten („crusades“) den Vietnamkrieg unterstützt. …
- Warum bekommen die Schüler Aufgaben, Projekte in sozialen kirchlichen Einrichtungen durchzuführen? Es gibt doch zumindest in unserer Stadt Berlin auch viele nichtkirchliche soziale Einrichtungen, die offen für Projekte sein dürften.
- Zu der Aussage eines Moslems auf Seite 179 möchte ich fragen, warum Unterordnung und Gehorsam = Frieden bedeuten? Ist das wirklich ein schöner Frieden, wenn sich alle Menschen unter die Herrschenden unterordnen und ihnen gehorchen? Kann es sein, dass gerade die verlangte Unterordnung und der verlangte Gehorsam verantwortlich dafür sind, dass sich Menschen in religiösen Systemen so „wunderbar“ unterdrücken lassen?
- Die Ursache für Zwangsheirat wird in dem Buch auf Seite 185 auf Armut und auf Dörfer geschoben. Wie ist es damit zu erklären, dass sogar Mädchen, die in Deutschland, in Berlin, aufwachsen, manchmal noch zwangsverheiratet werden? Warum gibt es denn in diesen Ländern noch Steinigungen? Auch dann, wenn ein Mädchen nicht heiraten wollte? Liegt das auch an der Armut?
- Haben wir in Deutschland wirklich 3,3 Mio. Muslime, wie auf Seite 186 behauptet, oder wurden da die ganzen Ex-Muslime mitgezählt?
- Auf der Seite 188 gibt es ein Schaubild: „Woran sich die großen Religionen orientieren.“ Erstellt wurde dieses Schaubild vom Verdrehungskünstler Hans Küng. Woran orientieren sich nach seiner Auffassung die großen Religionen?
- Wohlergehen des Menschen (Liebe, Hilfe für die Armen, Hoffnung)
- Eröffnen eines Sinnhorizonts (beantworten die Frage nach dem Sinn des Lebens)
- Die Goldene Regel (Menschen sollen nur so handeln, wie sie selbst behandelt werden wollen)
- Ethische Gebote (nicht töten, nicht lügen, nicht stehlen, die Eltern achten, die Kinder lieben, nicht Unzucht betreiben)
- Motivation durch religiöse Vorbilder (Moses, Jesus, Mohammed oder Buddha geben Beispiele guten Handelns)
- Auch hier schreit es in einem aufgeklärten Menschen, der sich z.B. mit der Kirchengeschichte befasst hat. Das ist eine ausgesprochen selektive und die Wahrnehmung verzerrende Wissensvermittlung …
- Die Frage auf Seite 190: „Warum ist Mitgefühl mit Armen und Schwachen auch für nichtreligiöse Menschen eine wichtige Lebenshaltung?“ muss ebenfalls kritisiert werden. Die Formulierung in der Fragestellung ist katastrophal. Sie impliziert nämlich, religiöse Menschen helfen ja sowieso schon mal den Armen und Schwachen. Das wissen wir von Hans Küng, von Caritas und Diakonie, von Jesus, vielleicht noch von Mutter Theresa (dem Todesengel von Kalkutta, der stark leidenden Menschen schmerzstillende Medikamente vorenthielt und in die Taschen der Kirche wirtschaftete), sowie von den vielen Menschen mit „christlichem sozialem Engagement“. Aber schaut, nun nehmen wir auch mal die nicht ganz so guten minderbemittelten Atheisten an die Hand. Die können nämlich auch Mitgefühl haben. – So kann man nicht vorgehen. Wenn man über Gründe für soziales Engagement spricht, dann sollte man zuerst über die dem Menschen innewohnenden Gründe wie Mitgefühl sprechen. Dieses ist nämlich in allen Menschengruppen vorhanden und hat überhaupt nichts mit Religion zu tun. Es wäre auch interessant, etwas darüber zu wissen, wie das Leben in Menschengruppen überhaupt funktioniert, dass es ohne Gruppenregeln, auch ohne soziales Verhalten zumindest innerhalb der Gruppe, nicht geht. Nahezu alle Menschen leben in Gruppen, ob das nun religiöse oder nichtreligiöse Gruppen sind. Danach kann man sich dann den Religionen widmen und schauen, inwieweit dort soziales Engagement gefordert und umgesetzt wird. Wer sind die Nutznießer dieses sozialen Engagements? Wie wird dieses gekoppelt mit Mission? Wie wird das zur Ausbeutung von Menschen benutzt?
- Das auf der Seite 191 vorgestellte Projekt Weltethos hat den Makel, dass es nur für Religionen gilt, also Atheismus außen vorlässt. Insofern müsste es Religionsethos heißen. Die Welt, das ist mehr als Religionen. Hans Küng hat gewiss einen Verdienst, indem er Religionen humanisiert. Jedoch ist diese Vorgehensweise auch gefährlich, denn sie legiert Inhumanes mit Humanem.
- Die Rede des ehemaligen Bundespräsidenten Köhler bei Projekt Weltethos, auf die im Lehrbuch verwiesen wird, hat gewiss viele erst zu nehmende Inhalte. Der dem Christentum wohlgesonnene Bundespräsident macht sich jedoch unglaubwürdig, wenn er u.a. sagt: „immer wieder in grausame Barbarei und Unmenschlichkeit zurückzufallen, im Dreißigjährigen Krieg SOGAR [1] aus konfessionellen Motiven.“ – als hätte es Unmenschlichkeit aus konfessionellen Motiven nur im Dreißigjährigen Krieg gegeben. …
- Am Ende dieses Ethiklehrbuches widmet man sich dem Thema „Okkultismus, Satanismus und Sekten“. Bei diesem Thema muss man, gerade dann, wenn man den Vergleich mit dem Christentum sucht, aufpassen, nicht in eine Schwarz-Weiß Malerei zu geraten. Nicht alles am Satanismus ist gefährlich und am Christentum gibt es ja auch Gefährliches. Satanismus kann auch eine Form des Protestes gegen das Christentum und seine vielen Verbote sein.
- Auf Seite 197 wird der Satanismus auf die rechtsradikale Seite gestellt. Das darf nicht verallgemeinert werden. Auch Christentum kann zum Rechtsradikalismus führen (Judenhass kann daraus z.B. folgen). Vorbildlich gegenüber anderen Lehrbüchern ist es, dass hier der Begriff Sekte definiert wird (S. 198 + 203) Wichtig wäre es jedoch auch, festzustellen, dass auch das Christentum eine Sekte ist (eine Abspaltung vom Judentum) und dass es viele Parallelen zu anderen Sekten gibt. Eine schöne Aufgabe wäre es gewesen, wenn die Jugendlichen anhand der Sektenmerkmale verschiedene Religionen hätten katalogisieren können.
- Im letzten Abschnitt widmet man sich ab Seite 208 den Menschenrechten und Menschenpflichten. Einführend wird eine Geschichte über Dorothy Stang erzählt, eine Umweltschützerin, die ihren potentiellen Mördern gegenübersteht und anfängt, Passagen aus der Bibel vorzulesen, um die Männer noch von ihrem Vorhaben abzubringen. Trotzdem wird sie erschossen. Ich meine, da hätte man auch ein anderes Beispiel geben können. Vermutlich haben diese oder andere Männer noch andere Menschen ebenso feige ermordet, die nicht aus der Bibel vorgelesen haben. Die Bibel hat mit dieser Gewalttat überhaupt nichts zu tun. Wie hätte diese Geschichte gewirkt, wenn Dorothy nicht aus der Bibel, sondern aus der Dianetik vorgelesen hätte? – Was man hier so ganz nebenbei herüberbringen wollte, ist doch dies: Gibt es etwas Gewaltloseres als die Bibel? Schaut, diese Frau liest aus dem reinsten aller Bücher und trotzdem erschießen diese skrupellosen Männer sie. So eine subtile Botschaft kann jedoch – bei allem Mitleid für die ermordete Frau und bei aller Anerkennung der Tatsache, dass diese Frau wirklich glaubte, die Bibel könnte ihr das Leben retten – nicht hingenommen werden angesichts des inhumanen Charakters der Bibel.
Mit der größten Hoffnung auf eine qualitative Verbesserung der Ethiklehrbücher und des Ethikunterrichtes
Beate Turner
[1] Ausnutzung in religiösen Hierarchien durch die religiösen Herrscher -> Steuerung des Handelns der Menschen durch Versprechen von Belohnungen oder Drohen mit Strafen nach dem Tod.
[3] Hans Küng: „Christ sein.“, 1978, S. 369
[4] siehe z.B. Prof. Dr. Biesinger
[5] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=11554 / http://hpd.de/node/8132?page=0,0
[6] Zur näheren Erläuterung dazu: Gerhard Streminger: „Die Jesuanische Ethik“
[7] Man bemerke: „angeblich“ – daraus ist bereits die Position des Verfassers zu den Einwänden der Religionskritik ablesbar. „Angeblich“ behauptet, Religionskritik wäre eh nur Spinnerei. „Keinen Platz mehr für Gott lassen“ ist auch krumm ausgedrückt. Es geht in der Religionskritik jedoch darum, dass die Naturwissenschaften eine ganze Reihe von religiösen Behauptungen widerlegen.
[9] Eine umfangreiche Analyse dazu bietet z.B. „Caritas und Diakonie in Deutschland“ von Carsten Frerk.
[10] Infos dazu z.B. bei der Gesellschaft für Parawissenschaften unter http://www.gwup.org/
[11] ob das in ihrem Roman bereits vor dem Transfer in die Gebärmutter oder in der Gebärmutter durch einfache natürliche Zellteilung geschah oder erst später aus einer Zelle des bereits geborenen Kindes, geht aus dem Textausschnitt nicht hervor
[12] www.1000fragen.de